Dokumentierte Nachforschungen haben nachgewiesen, dass Paul Twitchell
die Figur Rebazar Tarzs frei erfunden hat. Die Lebensgeschichte dieses
Mönches basiert auf Biographien über Kabir, Shiv Dayal Singh,
Sawan Singh, Kirpal Singh und mehrerer anderer real existierender
Gurus. Diese Erkenntnisse sind jedoch nur wenigen Mitgliedern von
Eckankar bekannt. Viele, die sich dieser Tatsache nicht bewusst sind
(und angeblich das Seelenreisen beherrschen) behaupten,
außergewöhnliche Visionen über den Tibetaner zu haben,
und können im Detail sein Aussehen und seine besondere Bekleidung
beschreiben.
So stellt sich die wichtige Frage bezüglich Eckankars Anspruch auf
Glaubwürdigkeit. Kann eine Religion, die nachweislich gesetzwidrig
ist, dennoch authentisch sein und einzigartige spirituelle Erfahrungen
ermöglichen? Überraschenderweise lautet die Anwort: ja und
nein.
a) Ja: Weil es theoretisch nachvollziehbar ist, dass
ein ernsthaft Glaubender ein authentisches Erlebnis mit einem
erfundenen Heiligen auf den höheren Bewusstseinsebenen jenseits
des Wachzustandes haben kann. [1] Jedoch muss man
beachten, dass die Authentizität solch einer Begegnung nichts mit
dem bildlichen Inhalt an sich zu tun hat. Es ist eher die
Bewusstseinsstruktur desjenigen, die dem Erlebnis erhebliche Kraft
verleiht. Ob ein Guru nun eine freie Erfindung oder eine historische
Persönlichkeit ist, ist in Bezug auf Authentizität von
geringer Bedeutung. Bezüglich der endgültigen
Legitimität der Begegnung spielt das jedoch eine große
Rolle. [2] Todesähnliche Erfahrungen, die reich
an kulturabhängigen Visionen sind, zeigen uns, dass deren Inhalt
auf unbewussten Projektionen basieren kann (Christen sehen Jesus, nicht
Buddha; Sikhs sehen Guru Nanak und nicht Mohammed usw.), während
der Kontext solcher transpersonalen Erfahrungen eher aus dem Bereich
des Uberbewusstseins kommt und nicht kulturell begrenzt ist.
Deshalb kann ein Mitglied von Eckankar ein höheren
Bewusstseinszustand erreichen und eine Vision erfahren, von der es
glaubt, dass es sich um Rebazar Tarzs handelt. Aber es ist nicht der
tibetanische Mönch, der diese Erfahrung herbeiführt, sondern
die innere Fähigkeit des praktizierenden Gläubigen, diese
Bilder aufzubauen. Deshalb ist der wichtige Punkt bezüglich der
Realität religiöser Visionen nicht deren Inhalt (einfach
gesagt, ist es von geringer Bedeutung, ob man die Jungfrau Maria,
Buddha, Krishna oder Fubbi Quantz wahrnimmt) sondern der religiöse
Zusammenhang. [3]
b) Nein: Da Eckankar gesetzwidrig ist, besitzt es eine
innere Tendenz, seine spirituellen Ansprüche mehr oder weniger
glaubwürdig beweisen zu müssen. Zum Beispiel sind viele so
genannter religiöser Visionen mit Rebazar Tarzs nichts als
lebhafte Bildvorstellungen, wie sie normalerweise im Traum vorkommen.
Wenn eine innere Vorstellung eine heilige oder verehrte
Persönlichkeit darstellt, ist noch lange nicht gesagt, dass es
sich dabei um eine göttliche Manifestation handelt.
Man muss unterscheiden zwischen unterbewussten (während und vor
den Traumphasen) und überbewussten (tranzendenten)
Manifestationen. Falls man das nicht tut - wie das bei Eckankar
häufig der Fall ist, wo die meisten Träume zu spirituellen
Erlebnissen erhoben werden - kommt es zu Verwechslungen zwischen
kindlichen Vorstellungen und wahren spirituellen Erscheinungen. [4]
Quellen:
[1] Nähere Information darüber siehe "The
Hierarchical Structure of Religious Visions" (Die hierarchische
Struktur religiöser Visionen), Journal of Transpersonal Psychology
(Band 15, Nr. 1); "The Himalayan Connection: U. F. O.'s and the
Chandian Effect" (Die Himalaya Verbindung: UFOs und der chandische
Effekt), Journal of Humanistic Psychology (Herbst 1984); und "The
Unknowing Sage: The Life and Work of Baba Faqir Chand" (Der unbewusste
Weise: Leben und Werk des Baba Faqir Chand) (erscheint demnächst).
[2] Ken Wilber, A Sociable God, (Ein geselliger Gott),
op. cit. Seiten 61-64.
[3] Siehe "The Hierarchical Structure of Religious
Visions."
[4] Ken Wilber hat einen großartigen Artikel
über "Prä-/Trans-Täuschung" in Revision geschrieben
(Band 3, Nr. 2, 1980). Siehe auch Wilbers wichtige Kritik über
Hermeneutik in "A Sociable God", op. cit., Seiten 12-16.