Kapitel  Neun Darwin Gross wird gestürzt - wenn Gott entthront wird

Was ist falsch gelaufen?

Darwin Gross' Probleme begannen nicht erst 1983. Sie begannen zwölf Jahre früher, als er 1971 von Gail (Atkinson) als Nachfolger ihres verstorbenen Mannes Paul Twitchell zum Leiter von Eckankar ernannt wurde. Es gibt jedoch, im Widerspruch zu den Mythen von Eckankar, keine historischen Beweis für den "Orden der Vairagi-Meister". Das Konzept wurde von Paul Twitchell frei erfunden, um einerseits seiner Lehre einen mystischen und zugleich altertümlichen Charakter zu verleihen. Die Nachfolge in Eckankar findet nicht ihren Ursprung auf einer inneren, feinstofflichen Ebene durch eine Kongregation hoch entwickelter Mystiker mit lustig anmutenden Namen wie Fubbi Quantz, Rebazar Tarzs und Yaubl Sacabi, sondern ist eher das Ergebnis eines sehr menschlichen Prozesses, mit all den Irrungen, die solche menschliche Unternehmungen nun einmal beinhalten.

Kurz gesagt: Nicht Paul Twitchell, als verstorbener Meister, hatte Darwin Gross erwählt, sondern Twitchells Ehefrau Gail, die dann kurz darauf (man interpretiere es, wie man will) den "neuen" Meister Darwin heiratete. Auch Harold Klemp wurde nicht in einer illustren Nacht im Oktober vom Orden der Vairagi ernannt; er war von Darwin Gross aus einer Anzahl von Gründen erwählt worden, der (einschließlich der Tatsache, dass er Rückenprobleme hatte und dass er Klemp "kontrollieren" konnte) nicht weiter das Amt des "Lebenden Eck-Meisters" ausüben wollte.

Darwins erstes Problem bestand darin, dass er keine erleuchtete Persönlichkeit im Sinne einer religiösen Tradition war. Im Gegenteil: Er war erst seit zwei Jahren Chela in Eckankar und zufälligerweise nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Gross erfüllte nie die Erwartungen, die ernsthafte Eckankar-Anhänger an ihn stellten. Seinem wahren Status gemäß (als einfacher Studierender in einer außergewöhnlichen Position) versuchte Darwin als vollkommen realisierter Meister aufzutreten. Aber ihm konnte unmöglich diese Scharade gelingen, denn ihm fehlten die nötigen intellektuellen und geschäftlichen Fähigkeiten. Mit anderen Worten: Darwin Gross verfing sich im Netz der Intrigen. Ironischerweise war es letztendlich der von Gross selbst ernannte Nachfolger Harold Klemp, der seinen Untergang herbeiführte.

Gerichtsunterlagen zufolge, die im United States District Court des Staates Oregon von den Rechtsanwälten von Eckankar ESLER & SCHNEIDER aufbewahrt werden, verletzte Darwin Gross seinen Vertrag als Präsident von Eckankar (und seine lebenslange Vereinbarung, die ihm für den Rest seines Lebens $65,000 im Jahr zusicherte) aus folgenden materiellen Gründen:

Eckankars Anschuldigungen gegen Darwin Gross
  1. Veruntreuung von Gesellschaftseigentum für eigene, private Zwecke.
  2. Verwendung von Gesellschaftskapital für eigene, private Zwecke, ohne ersichtlichen Nutzen für den Angeklagten (Eckankar).
  3. Regelmäßige Versäumnis der Ausübung seine Pflichten als Amtsträger des Angeklagten (Eckankar).
  4. Versäumnis der moralischen Vorbildfunktion, wie sie von einen Amtsträger und Verwalter einer religiösen Körperschaft erwartet wird.
  5. Versäumnis der Unterstützung des Lebenden ECK-Meisters (Harold Klemp) in der Verbreitung der Lehre von ECKANKAR.
  6. Versäumnis der angemessenen Respektserweisung und Höflichkeitsbekundung gegenüber dem Lebenden ECK-Meister (Harold Klemp).
  7. Die Umgestaltung und der Versuch der Umgestaltung von Besitztum von ECKANAKR zum Vorteil des Klägers (Darwin Gross).
  8. Weitergabe und der Versuch der Weitergabe von Eigentum und Rechten ohne Wissen des Angeklagten durch Übergehen der direkten Anweisungen des Lebenden ECK-Meisters und des Verwaltungsausschusses (Board of Trustees).
  9. Das Lehren und Verbreiten von Doktrinen, welche nach Meinung des Lebenden ECK-Meisters nicht mit den Lehren von ECKANKAR übereinstimmen.
  10. Verweigerung des Rücktritts, als man ihm dies nahelegte.
  11. Verweigerung der Einstellung öffentlicher Aktivitäten bei Amtsende als Präsident des Angeklagten, als dies ihm vom Lebenden ECK-Meister nahegelegt wurde.
Wie kann man Gross' Entlassung erklären, ohne die Grundsätze des Glaubenssystems von Eckankar zu stürzen? Wie kann ein ECK-Meister, der angeblich zur höchsten Bewusstseinsebene Zugang hat, aus Eckankar entlassen und nicht einmal mehr als Chela anerkannt werden? Oder direkter gesagt: Wie kann man "Gott" stürzen?

Die anstehenden Fragen zu beantworten, dürfte für Klemp und die Höherinitiierten von Eckankar nicht leicht sein. Denn Darwins Beseitigung beweist zumindest, dass Klemp selbst jeden Moment in Ungnade fallen kann. Der "Stab der Macht" ist nicht unfehlbar. In Folge dessen sehen die Aussichten für den durchschnittlichen Eckisten eher düster aus: Wenn der Höchste Meister des Gottbewusstseins versagen und zu einer "Persona non grata" werden kann, wie stehen da seine eigenen Chancen? Darwins Exkommunizierung weist auf einen fatalen Denkfehler in der Philosophie von Eckankar hin: Spirituelle Realisation sichert nicht ewiges Seelenheil zu. Und in der Tat scheint es - Darwins Verhalten nach zu urteilen - offensichtlich, dass das Erlangen der "Eck-Meisterschaft" jemanden nicht unbedingt davor schützt, weiterhin unmoralisch und eigennützig zu handeln.